Ein Erfahrungsbericht von Karin Krendl:
„Das ärmste Land in der westlichen Hemisphäre“ – das haben wir vor unserer Reise des Öfteren gesagt – waren es auch einige der wenigen Infos, die wir über Haiti kannten.
Was man sich darunter vorstellt sind sehr schwammige Bilder. Nun sind die Bilder klarer.
Lachende Kindergesichter, Berge von Müll, wunderschöne Natur.
Dass wir das Leid in diesem Land nicht ändern können, war uns bewusst. Unser Traum oder Ziel war eher, wenigstens einer Person das Leben ein wenig erleichtern oder verschönern zu können. Das haben wir geschafft und sind sehr dankbar dafür.
Medizinisch wussten wir nicht, auf was wir uns einstellen sollten – unsere Aufgabe war es, Kindergartenkinder und deren Familien zu untersuchen. Die Herausforderungen überraschten uns aber mehrmals.
Ein Großteil der Krankheiten betraf die Haut – von bakteriellen Infektionen über weit verbreitete Pilzerkrankungen bis hin zu Neurodermitis.
Ein kleines Mädchen mit Neurodermitis, Angeline, hat uns fast täglich beschäftigt. Zu Beginn konnten wir nicht fassen, in welchem Zustand sich das Mädchen befand. Sie konnte einen Ellenbogen aufgrund von Vernarbungen nicht mehr ausstrecken, der ganze Körper war mit Krusten und Narben bedeckt.
So recherchierten Isabella und ich über die Behandlung dieser Erkrankung und für uns war sofort klar, dass hier Handlungsbedarf herrschte. Mit unseren – von Apotheken gespendeten – Medikamenten und ein wenig Improvisation erreichten wir eine Verbesserung des Hautbildes, die wir selbst nicht für möglich gehalten haben.
Als wir das Mädchen nach zwei Wochen an einem Samstagmorgen von zu Hause abholten, um die Wunden zu verbinden, schenkte sie uns zum ersten Mal ein Lächeln – ein unvergesslicher Moment.
Zugleich sahen wir dabei,in welch unglaublich schlechten Verhältnissen die Menschen dort leben müssen.
Als wir eines Nachmittags in unserer „Ordination“ arbeiteten,bemerkten wir ein Mädchen, dass am Schoß ihrer Mutter kauerte. Wir legten das Pulsoxymeter an, um den Sauerstoffgehalt im Blut zu messen. Dabeihofften wir inständig auf ein zufriedenstellendes Ergebnis, doch leider zeigte es das Gegenteil.
In Österreich würde diese Patientin als Notfall gewertet werden. In Haiti warteten wir einige Stunden auf unser Auto, das gerade eine Panne hatte. Doch wir mussten unbedingt ins Krankenhaus. Als wir der Mutter den Ernst der Lage schilderten, starrte sie uns mit leerem Blick an.
Wir wussten nach einigen Wochen in Haiti schon, sie würde es sich niemals leisten können in die dreißig Minuten entfernte Stadt zu fahren, um das Kind versorgen zu lassen.
In diesen Stunden des Wartens herrschte eine eigenartige Stimmung. Hilflosigkeit, wie wir sie im österreichischen Gesundheitssystem zum Glück noch nicht kennenlernen mussten. Wir könnten dem Mädchen so leicht helfen, wenn wir die Mittel bei uns hätten. Ein zerreißendes Gefühl.
Nach einigen Stunden hatten wir es endlich geschafft und waren im Krankenhaus angekommen – ein fast leerer Wartebereich. Nur wenn man die Rechnungen im Voraus begleicht, ist die Behandlung gesichert. Für die meisten Haitianer unbezahlbar. Nicht nachvollziehbar war für uns, wie Ärzte um das Kind kreisen, jedoch ohne bezahlte Rechnung keine Intervention leisteten.
Drei Tage später kam uns eine strahlende Frau im Kindergarten entgegen, die Mutter des Kindes, die uns dankbar um den Hals fiel.
Diese zwei Fälle forderten uns wahrscheinlich am meisten heraus, doch auch im Untersuchungsalltag konnten wir viel mitnehmen. Mit wenig diagnostischen Mitteln zu arbeiten war eine sehr bereichernde Erfahrung.
Im buntgemischten Team aus weitgehend fremden Personen, herrschte eine unglaubliche Motivation und stets gute Laune. Es wurde gelacht und das Arbeiten fiel leicht.
Das Handwerkerteam Chris und mein Vater Franz kümmerten sich größtenteils um den Wiederaufbau des Hauses von Monsieur Fayo, dem Hausmeister, sowie um die Instandhaltung des Kindergartens. Das Haus war am Ende unseres Einsatzes wirklich nicht mehr wiederzuerkennen.
Weiters unterstützte Karin, die Lehrperson aus der Schweiz, die haitianischen Lehrpersonen und schulte sie heuer auch auf digitale Medien. Christina und Franz sorgten sicher für das Highlight der Kinder: eine neue Schaukel im Garten des Kindergartens.
Dave baute die Solaranlage im Kindergarten fertig, um den Strombedarf zu sichern, was sicher keine einfache Aufgabe war.
Die abendlichen Runden nutzten wir zum Austausch und nicht selten fand sich eine Lösung, wenn jemand gerade nicht mehr weiterwusste. Ohne diese gute Zusammenarbeit wäre ein solches Projekt nicht möglich.
Auch mit Familie Fayo, die den Kindergarten tagtäglich versorgen und sich um die ständige Instandhaltung sowie um die Versorgung der Kinder kümmern, war es eine Freude zusammen zu arbeiten.
Unser Übersetzer, Richarlson, der Sohn der Fayos, lieferte großartige Arbeit und übersetzte uns tagtäglich unsere Patientengespräche von Kreol auf Französisch. Seine Mutter – Madame Fayo – ist für das Essen der Kinder am Vormittag verantwortlich. Sie kochte bis jetzt auf einer Feuerstelle. Durch den zuvor geschickten Container mit Hilfsgütern war es möglich,einen Kühlschrank, eine Gefriertruhe und einen Elektroherd nach Haiti zu befördern.
Als wir Madame Fayo zeigten, wie kochen mit Strom funktioniert, war sie äußerst neugierig und interessiert und gab mit einem gelassenen „d’accord“ ihr Einverständnis. In der letzten Woche unseres Aufenthaltes übten und versuchten wir Neues am Herd und sie beeindruckte uns mit ihrer Offenheit, mit der sie die Sache anpackte.
Die Wochenenden verbrachten wir meist am wunderschönen Strand von Port Salut und schliefen dort unter dem Sternenhimmel. Nicht selten unterhielt uns Real stundenlang mit seiner Gitarre und kreolischen Liedern die ein Ohrwurm unseres Aufenthaltes wurden.
In das bergige Hinterland machten wir vollbepackt mit gespendeter Kleidung einen Ausflug und teilten dort fleißig aus. Auch Hausbesuche erledigten wir an Wochenenden und besuchten Menschen, denen es nicht möglich war, uns im Kindergarten zu besuchen.
Das touristische Angebot hält sich in Haiti in Grenzen, einen wunderschönen Wasserfall besichtigten wir deswegen gleich zweimal, was unsere gemütliche Truppe absolut nicht störte.
Meine Erwartungen an diese vier Wochen wurden schlicht und einfach in allen Belangen übertroffen. Die Zufriedenheit, Einfachheit und Ruhe der Haitianer möchte ich so lange wie möglich in mir weitertragen. Das rasende europäische Leben lässt uns zu oft vergessen, wie gut es uns geht und was wirklich zählt im Leben.
Der ausgesprochene Wunsch der Haitianer an uns war, dass wir das, was wir erlebt, gesehen und gelernt haben in Österreich verbreiten, darüber reden und Bewusstsein schaffen.
Es gibt nicht nur unseren Lebensstil, es ist nicht selbstverständlich,dass tatsächlich Wasser aus dem Wasserhahn kommt. Medizinische Versorgung bedeutet riesige Hürden oder ist meist einfach nicht leistbar. Strom nutzen zu können, ist nicht Basis, sondern Luxus.
Die Armut, das Leid in Haiti können wir nicht ändern. Aber wir können daraus lernen dankbar zu sein, Lebensmittel wert zu schätzen, Zufriedenheit anzustreben und die haitianische Sonne in unserem Herzen strahlen zu lassen.












